Der Parkplatz

 

 

Mario staunte.

Graziös wie eine Artistin aus der Zirkuskuppel seilte die Spinne sich herab aus den Ästen, senkte sich nieder auf den glänzenden Kotflügel des grünen Sportwagens- und begann zu laufen.

Was mag in ihrem Kopf vorgehen? Hat sie Angst? Fühlt sie sich bedroht?

Ist es ihr Instinkt, der sie hastig rennen lässt, weg von dieser spiegelglatten ,

seltsamen Oberfläche in irgendeine dunkelschattige Deckung.

Mario grinste schwach. Keine Chance .

Er streckte langsam den Arm aus , bis seine Hand einen Schatten warf, genau über die krabbelnde Spinne. Das Tier verharrte im Lauf, stellte sich tot .

Vielleicht ein Vogel?

Keine Chance. Marios Hand kam herab und zerquetschte die Spinne. Er verstrich ihre Überreste über den Lack , rubbelte dann angewidert mit dem Hemdsärmel darüber, hauchte und polierte , bis nichts mehr zu sehen war.

Zufrieden trat er einen Schritt zurück und bewunderte sein Werk.

Der grüne Peugeot glänzte in der prallen Sonne. Mario öffnete die Seitentür und ordnete die Karten auf dem Beifahrersitz neu . Das Fenster kurbelte er zwei Schläge herunter. Es sollte heute heiß werden, mit Regen war nicht zu rechnen.

Er stopfte die Hände in die Hosen seiner Latzhose und schlenderte über den Parkplatz . Nur wenige Autos waren hier abgestellt. Die meisten waren sommerlich verstaubt, es hatte lange nicht geregnet.

Mario runzelte die Stirn. Der blaue Polo links neben dem Eingang hatte offenbar einen Plattfuss. Da wurde es langsam Zeit, daß - sein Kopf ruckte herum. Angestrengt spähte er nach links. Hier endete der Parkplatz an einem gestrüppüberwucherten Hang , der sich hinaufzog bis zur Außenmauer der Pumpstation.

Er kniff die Augen zusammen. Zwischen den Brombeerranken war undeutlich ein Betonrahmen zu erkennen, dazwischen ein Rost aus Metallstäben. Und einen Moment hatte er geglaubt, dahinter ein Gesicht zu sehen.

Bleich , mit dunklen Augen, den Mund weit aufgerissen wie zu einem Schrei.

Er lächelte. Nein, das war nicht möglich.

"Hör auf mit dem Quatsch ", sagte er zu sich selbst. "Mach dich nicht verrückt." Er zog eine Grimasse . "VERÜHÜCKT!" brüllte er laut.

Natürlich hörte er nichts.

Das Dröhnen der Turbine übertönte jeden Laut. Nur wenn er darüber nachdachte, nahm er es noch war. Ein stetes Rauschen, Stampfen, Donnern, ein künstlicher Wasserfall, monoton und endlos, in der ewig gleichen Modulation.

Die Turbine des Zwischenpumpwerks für das Kraftwerk unten im Tal, des ältesten noch funktionsfähigen Wasserkraftwerks in der Region, dessen Wärter er war . Es war SEIN Pumpwerk, so empfand er es, und der ewige Lärm war für ihn das Hintergrundgeräusch des Lebens. Tatsächlich brauchte er nur wenige hundert Meter die Straße hinabzugehen, und die Stille fiel ihn an wie ein Tier.

Mario hasste das Gefühl, wenn die Ohren zu summen begannen, den furchtbaren metallischen Ton der Stille. Er hasste die zaghaften Geräusche der Waldes, leises Rascheln und sanftes Zirpen, das Plätschern eines Rinnsals und den Flügelschlag kleiner Vögel.

Meistens trug er Kopfhörer, wenn er draussen war., und hörte Musik.

Mario trottete gemächlich den steilen Fußweg hinauf zur Station. Der Fahrweg war länger, führte in Serpentinen hinab zum Parkplatz. Er war mit Schotter befestigt, und Mario stellte wieder einmal fest, daß er bald freigeschnitten werden müßte, um überhaupt als Fahrweg erkennbar zu bleiben. Aber von unten kam nie jemand herauf. Er musste das selbst erledigen- demnächst.

Vor dem Gebäude stand ein Auto.

Ein hübscher moderner Kleinwagen, rot ,ein Fiat , und an der Motorhaube lehnte eine junge Frau.

Sie bemerkte ihn und trat ihm lächelnd entgegen.

"Guten Tag. GUTEN TAG! MEIN GOTT; BEI DEM LÄRM  VERSTEHT MAN KAUM SEIN EIGENES WORT."

Er grinste . "KOMMEN SIE REIN . DRINNEN IST ES RUHIGER:"

Mit einer Geste geleitete er die Frau durch die zweiteilige Eingangsschleuse in sein Büro. Tatsächlich war der Pumpenlärm hier drinnen reduziert auf ein hämmerndes, dumpfes Stakkato, wie ein angestrengtes Herz.

"Mein Name ist Michaela Becker, " sagte sie, und streckte ihm die Hand entgegen . "Nennen Sie mich Michaela, wenn Sie möchten."

Er lächelte. "Ich möchte. Mein Name ist Mario. Ich bin hier der Wächter."

Mario war 1,80m groß, kräftig, mit blonden , halblangen Locken, und derzeit trug er einen noch schütteren Vollbart. Er wußte, das er bei Frauen gut ankam.

Michaela lächelte zurück. " Ich komme vom Westkurier. Ich bin Reporterin. Ich arbeite an einem Bericht über die Energieversorgung der Region und ich möchte Sie interviewen."

Er nickte . "Kein Problem." Er winkte einladend in Richtung Couch. "Einen Kaffee, Michaela?"

"Gerne."

Sie nahm den Nescafe, den er produziert hatte, und setze sich auf die Vorderkante der Couch.

Ein Diktiergerät war mittlerweile aufgetaucht. Sie legte es augenverdrehend zur Seite und machte mit den Fingern eine drehende Bewegung, um anzuzeigen , das die Aufnahme lief. Dann riss sie den Mund auf .

"Ja, ich verstehe. Laut sprechen."

Sie nickt begeistert und hob den rechten Finger.

Er nickte brav.

"Sie sind allein hier oben, Mario?"

"Ja. Seit mein Vater gestorben ist."

"Ihr Vater war ebenfalls hier Wärter?"

"Ja natürlich. Auch mein Großvater."

"Also bereits in der dritten Generation?"

"Richtig. Seit dem Bau der Anlage."

"Warum wohnen sie allein hier oben?"

Er machte eine hilflose Geste. "Es ist laut hier."

Sie lachte. "Ja allerdings. Mario, kommen öfter Touristen hierher.?"

"Oh ja. Sie sehen sich das Kraftwerk an. Und sie klettern am Berg."

"Zur Zeit sind auch welche da?"

"Ich nehme es an. Jedenfalls stehen Autos unten. Vermutlich Bergsteiger."

"Was ist an der Pumpstation so Besonderes?."

"Sie ist alt. Malerisch."

Sie nahm das Diktiergerät in die Hand., schaltete daran herum.

"Mario- ich darf Sie Mario nennen? Danke. Mario, wie Sie wohl wissen, gibt es Bestrebungen, dieses Kraftwerk zu schliessen.."

"Ja, ich weiß. Aber das ist unmöglich."

"Wieso.? Es gibt Zahlen, die belegen, daß einen weitere Nutzung unwirtschaftlich ist."

Er lächelte . "Zahlen." Er hob die Schultern. "Michaela, ich glaube gerne,

daß dieses Kraftwerk mit billiger Kernenergie nicht mithalten kann. Ich setze mehr auf die touristische Wirkung der Anlage."

"Aber diese Station liegt reichlich abgelegen, und nach meiner Information besteht seitens der Bezirksregierung keine Bestrebung, die Gegend durch weitere Ausbaumassnahmen aufzuwerten."

Jetzt bildete sich eine Falte auf seiner Stirn: Sie blieb hinter seine Locken verborgen.

"Michaela, hören Sie mir zu. " Er sah kurz zu Boden, dann wieder auf, und seine dunklen Augen suchten ihren Blick. "Ich weiß, daß diese Anlage nicht wirtschaftlich ist. Es geht einfach um die Schönheit."

"Das habe ich nicht verstanden." Sie sah ihm in die Augen.

"Diese Anlage ist ein Oldtimer. Wie ein altes Auto, verstehen Sie? Ein Bugatti, zum Beispiel. Ein alter Ferrari.

Sie ist von gestern, ja. Aber Sie ist SCHÖN.. Verstehen Sie.?"

Sie wechselte die Position auf dem Sofa, und er stellte amüsiert fest., das sie ihre Beine dabei geschlossen hielt.

"Mario, mich interessiet noch etwas anderes." Sie beugte sich vor. "Unten im Tal wird daß Gerücht verbreitet, hier oben gehe es nicht mit rechten Dingen zu."

"Wie bitte?"

"Man sagt, das Pumpwerk sei verhext." Sie lachte. "Angeblich sind Leute verschwunden. Sagen Sie etwas dazu."

Er lachte ebenfalls. Die Falte unter seiner Stirnlocke war wie Granit.

"Das sollte man wirklich touristisch nutzen, finden Sie nicht?"

Er winkte ihr. "Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen etwas."

Sie gingen hinaus in den Flur, wo der Lärm deutlich anschwoll.

Er sagte ein Paar Worte, und Sie schrie zurück, deutete schließlich auf ihre Ohren. Er nickte. Sie folgten dem Gang, dann eine Stahltreppe hinab, und wieder durch einen langen Gang. Am Ende diese Gang befand sich eine Stahltür. Sie war rot lackiert, wirkte wie ein Fremdkörper in der weißgetünchten Wand.

Der Lärm war hier ungeheuer. Sie bewegten sich unsicher, mit vielerlei Handbewegungen.

Mario deutete auf die Tür und machte eine einladende Geste.

Sie nickte. Er öffnete den schweren Riegel der Stahltür, welche nach innen schwang. Es war dunkel dahinter.

Sie trat zögerlich näher ."WAS IST DAS?" schrie sie. Er zuckte grinsend die Schultern , zeigte auf seine Augen und dann in die Schwärze hinter der Tür.

Sie nickte langsam und trat näher. Es war stockfinster. Der stampfende Lärm war hier so laut, das er fast körperlich spürbar war.

Sie sah ihn an, und er deutete nach links. Seine Hand drehte sich, die Geste des Lichteinschaltens. Der Schalter lag innen neben der Tür. Michaela nickte und trat in die Dunkelheit. Ihre Hand tastete nach dem Lichtschalter und fand ihn.

Seine Hand berührte fest ihre Schulter , zog sie herum . Er stand noch vor der Tür und grinste ,und sein Zeigefinger fuhr von rechts nach links über seine Kehle.

Dann warf er die Tür ins Schloß.

Sie stand für einen Augenblick in totaler Finsternis. Dann betätigte sie den Lichtschalter.

 

 

 

Mario ging summend zurück in sein Büro.

Er stellte sich vor, wie sie sich umsah, nachdem das Licht eingeschaltet war.

Ein vollkommen leerer Raum, nur hinten linke eine Luke.

Zuerst würde sie schreien., vermutlich ziemlich lange. Wenn schon.

Irgendwann würde sie die Luke benutzen. Er kicherte vor Vergnügen.

Es geht drei Meter hinab. Keine Chance auf ein Zurück. Unten wird es dunkel sein, ein langer dunkler Gang. Er führt nur in eine Richtung, und wenn sie sein Ende erreicht, wenn es Tag ist, wird sie den Parkplatz sehen. Ordentlich geparkte Wagen stehen dort, sauber gepflegt und poliert, und in regelmäßigen Abständen umrangiert, um möglichst wenig Verdacht zu erregen. Sie haben falsche Nummern, kein Problem, und einige sind sogar umlackiert.

Sie wird sie sehen, durch die Gitterstäbe hindurch, auch wenn ein neues hinzukommt, ein roter Fiat mit neuer Nummer.

Sie wird schreien.

Niemand wird sie hören.

Sie wird ohnehin verrückt sein. Denn bis dahin wird sie die Anderen gefunden haben.

 

für s.b.  wk 31.10.2000 (21.00 –00.00 Uhr)

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