Eine Frage der Beleuchtung

 

Ich traf sie auf einer Party. Es war eine ziemlich langweilige Party bei zu guten Bekannten. Ich hatte mich mit einem Freund und einer Flasche weissem Rum in eine Ecke verzogen . Das Mädchen stand eine Zeitlang hinter mir, ohne daß ich sie bemerkte. Wir waren nämlich gerade dabei, den Überlicht-Raumflug zu entdecken.

"Na gut", sagte mein Freund",auch wenn E=mc² nur im dreidimensionalen Raum gilt, kannst du mir trotzdem nicht erklären, woher du all die Energie nehmen willst."

"Habe ich doch eben erklärt,"erwiderte ich und nahm einen Schluck, " Einstein hat das mit der Gravitation zu eindimensinal, will sagen, dreidimensional gesehen. Paß auf :Der gute Albert hat erklärt, bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit wachse die Masse ins Unendliche. Er hat aber nicht erkannt, dass die Masse eine umgekehrte Proportionalität zur Schwerkraft aufweist. Dies ist in unserem Kontinuum auch nicht nachweisbar, weil hier nur ihre 3D- Komponente wirksam ist,die G-kraft , oder Schwerkraft, wenn du willst. " Ich machte eine erklärende Pantomime mit den Händen., und dabei stieß ich sie an.Ich nickte ihr entschuldigend zu. Sie winkte ab, wobei ihre violetten Augen mich nachdenklich musterten. "Bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit c ", fuhr ich fort, " verliert der 3D-Raum an Bedeutung. Das heißt, ab einer bestimmten Geschwindigkeit - wahrscheinlich schon ab circa 100.000km/sec - nähert sich das Verhältnis von Energie zur Masse wieder dem Faktor 1. Bei Lichtgeschwindigkeit , also 300.000 km/sec ist die Energie also gleich der Masse - und danach nimmt der Energiefaktor AB. Die Lichtgeschwindigkeit ist keine Grenze, sondern eine Schwelle. Alles klar?"-"Ja. Äh,ja."Etwas plagte ihn, "Ich bin gleich zurück." Er glitt vom Hocker.

Ich griff befriedigt zur Rumflasche. "Woher weißt du das ?" fragte das Mädchen. Die frage klang seltsam nüchtern in dieser Umgebung. Ich wandte mich ihr zu. Sie sah mich ernsthaft an, beinahe besorgt.

Ich kann es nicht leiden, wenn jemand besorgt ist, wenn ich trinke. "Nichts als nüchterne Überlegung", konstatierte ich fast ohne zu rülpsen.

"Du hast bloß die Zeit vergessen,"meinte sie.

DAS konnte interessant werden. Es ist selten, daß ein Mädchen sich auf einer Party für Astrophysik interessiert , noch dazu ein Mädchen mit so wunderschönen Augen. Ich hätte schwören können, dass sie violett waren.

"Die direkte Proportionalität der Zeit quasi als 3-dimensionale Substruktur zur Masse kann in diesem Zusammenhang wohl ignoriert werden."antwortete ich.

Ich konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie zu Boden fiel. Sie war sehr leicht, und sie war sehr hübsch. Wie mir jetzt auffiel, war sie mir völlig fremd." Ich zog sie hoch und half ihr, sich auf den Tisch aufzustützen, und ließ sie dann nicht ohne Bedauern langsam los. "Was ist denn?" fragte ich . Sie blinzelte mich mit flatternden Lidern an und redetete schnell vor sich hin. Ich verstand kein Wort. Schließlich verstummte sie, sah mich ruhig an und schwieg. Ihr Blick drang in mein Innerstes. ich hielt sie noch immer im Arm, und das war keineswegs unangenehm. Ich beschloß spontan, die Erfindung des Überlichtantriebs zu verschieben. Sie sah gut aus -ich glaube, das erwähnte ich schon- allerdings- ihr Kleidung war etwas ungewöhnlich und ihre Augen- die Iris schien mir in diesem Licht leuchtend violett.

"Entschuldige", begann sie leise,"aber das ist mir alles völlig neu. Es ist ...schrecklich. Meine ganze Arbeit ist verdorben. Wie konnte ich das nur übersehen?"

Sie schien ernsthaft die Absicht zu haben, in Tränen auszubrechen. Da ich kein Wort verstand, zog ich sie einfach zu mir herüber und streichelte sanft ihren Rücken.

Mein Freund kam zurück, überblickte die Situation, verstand sie völlig falsch, nickte verstehend und nahm die Rumflasche ,um die Diskussion anderswo allein zu beenden. Zum Glück hatte ich noch genügend Gesprächsstoff im Glas.

"Ich dachte, ihr wärt im Chemie-Raketen-Stadium steckengeblieben,"schluchzte sie."es war zwar komisch, aber alles schien darauf hinzuweisen. Ach, ich scheine eure Sprache doch nicht richtig zu verstehen." Sie blickte mir wieder tief in die Augen. "Ich werde durch das Examen fallen", meinte sie düster.

Ich verstand zwar immer noch nichts, aber ich war fest entschlossen, das Gespräch fortzuführen.

"Was ist schon ein Examen", begann ich locker, "schaffst du jetzt nicht, schaffst du's später!" Sie reagierte nicht. "Komm schon,"sagte ich. "Ich muß auch demnächst auf den Prüfstand, und was mach ich? Saufen und solch einen Blödsinn daherreden wie eben." Ihr Kopf kam hoch. Sie blickte mich sekundenlang nachdenklich an , und dann blitzten ihre Augen auf.

"Wenn die Zeit in der vierdimensinalen Bezugsebene gleich der Masse durch die Gravitation mal dem galaxialen Trägheitsfaktor ist, wie errechnet sich dann der galaxiale Trägheitfaktor bezogen auf die Sonne dieses Systems?"

Ich brauchte keine Sekunde für die Antwort. "Keine Ahnung ", sagte ich und zog sie zu mir.

Zwei Tage später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich war mit Alkoholvergiftung eingeliefert worden. Allerdings gaben meine 1,2 Promille den Ärzten Rätsel auf, so daß man mich erst nach 48 Stunden wiederwillig entließ. Ich verbrachte den Rest des Tages mit Grübeln über etwas, das mir entfallen war,und ging gegen Mitternacht mißmutig zu Bett.

Gegen drei Uhr weckte sie mich. Sie saß auf meinem Bett, mitten in der Nacht, in meiner Wohnung, und sie lächelte lieb.

"Tut mir leid", sagt sie,"aber ich mußte dich - wie sagt man- aus dem Verkehr ziehen. Dieses seltsame Zeug, das du da getrunken hast, hat dich zu sehr beeinflußt. Eine merkwürdige Droge.."sinnierte sie. Wie sie so dasaß, wunderschön und unwirklich, war mir plötzlich alles klar. "Du bist nicht von hier, "stieß ich hervor. "Du bist nicht einmal von..heute..?" Sie lachte."Du hast mich ganz schön erschreckt mit deinem Gerede.Du sprachst wie da Vinci mit seinem Hubschrauber.. stand übrigens unter der gleichen Droge wie du...mein Referat über das 20.Jahrhundert wäre jedenfalls verdorben gewesen."

"Von WANN bist du?", beharrte ich. Sie grinste. "Kann ich dir nicht verraten.Jedenfalls von später."Sie lachte wieder. Das alles gefiel mir nicht. "Wenn ich recht hatte mit meiner Idee, warum verhinderst du nicht, das ich's verbreite?" - "Dir glaubt sowieso niemand. Wer hat schon da Vinci geglaubt? Außerdem", und ihre violetten Augen versenkten sich tief in die meinen, "der Überlicht-Raumflug WURDE im 26.Jahrhundert entwickelt, du Dummerchen!" Und dann küsste sie mich.

Als ich die Augen wieder öffnete, war ich allein.Ich habe sie natürlich nie wiedergesehen. Manchmal allerdings, besonders in halbdunklen Räumen mit vielen Menschen, glaube ich manchmal ein paar violetter Augen aufblitzen zu sehen.Aber das ist wohl eine Frage der Beleuchtung.

 

wk 1978-2000

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