Guck,die Katze lacht

Haben Sie schon mal eine Katze lachen gesehen?

Nein?

Kein Wunder. Nur wenige haben das gesehen. Wenige,die sich erinnern. Niemand,der es beweisen kann.

Aber sie tun es.

Sie mögen nicht,dass man es zufällig sieht. Es ist verräterisch.

Aber sie lachen.

Oder besser: sie grinsen. Lautlos, von einem Ohr zum anderen , ein Grinsen,das zurückbleibt, in der Luft flimmert,

wenn die Katze längst ihrer Wege gegangen ist.

Ich weiss, Sie glauben mir nicht.

Sie haben das auch schon mal woanders gelesen. Aber hören Sie mal folgende Geschichte:

 

Es war einmal eine kleine,alte Dame,die wohnte im obersten Stock eines sechsgeschossigen Hauses mitten in der Grossstadt.

Ihr Name war Fräulein Zahlmeier. Sie hatte eine Katze namens Anastasia. Sie lebten allein,Fräulein Zahlmeier und Anastasia.Niemand

besuchte sie,denn das Fräulein hatte weder Verwandte noch Bekannte in dieser Stadt. Und da sie im letzen Stockwerk wohnten,direkt

unter dem Dach,kam fast niemals jemand die Treppe bis ganz oben herauf, denn die Dachterrasse wurde schon lange nicht mehr

zum Wäschetrocknen benutzt, weil die Luft so schmutzig war. Treppenhaus, Dach und Speicher waren Anastasias Revier,

und für eine fleissige Katze gab es hier Beute genug .

So störte niemand ihre Zweisamkeit,und obwohl sich das Fräulein Zahlmeier manchmal ein klein wenig einsam fühlte, besonders,

wenn Anastasia nachts ausblieb, war sie doch im Ganzen zufrieden mit sich und der Welt,die ihr zwar nicht viel Gutes,aber auch

wenig Schlechtes angetan hatte. Und sie machte ein Schälchen Dünnmilch fertig für Anastasia, falls sie hungrig heimkäme, und wartete

geduldig auf das vertraute Maunzen der heimkehrenden Katze.

Insgeheim hoffte sie in solchen Stunden immer,irgendjemand käme die Treppen herauf bis ganz oben und klopfte an ihre Türe, ein

unerwarteter, aber willkommener Besucher.

Und an einem Sommerabend gegen 23 Uhr war es tatsächlich so weit.

Aber der Besucher erwies sich als recht unwillkommen,und er kam auch nicht die Treppe herauf.

 

Es klopfte.

Fräulein Zahlmeier war eingenickt,und das Pochen liess sie auffahren aus einem Traum, den man ihr sicher nicht zugetraut hätte.

Sie knipste das Licht an und tastete nach ihrer Brille,denn sie war ein wenig kurzsichtig. Es klopfte noch einmal,beinahe schon

ein Rumpeln.Fräulein Zahlmeier brach ihre Suche ab, schlängelte sich durch die mit Möbeln zugestellte Diele und öffnete die Tür

einen Spalt weit.

"Ja bitte?", fragte sie etwas zögernd.

Die Tür erhielt einen kräftigen Stoss und schleuderte Fräulein Zahlmeier in die Garderobenecke. Der Druck hielt einen Moment an,

dann kehrte er sich um,und die Tür fiel wie angesaugt mit lautem Knall ins Schloss.

Fräulein Zahlmeier mühte sich, leicht benommen,aus ihrer Ecke hervor.Mit zusammengekniffenen Augen musterte sie ihre Wohnung.

"Hallo? Ist da jemand?"

Offensichtlich war niemand hereingekommen.

Fräulein Zahlmeier war ein wenig erschrocken, aber sie fürchtete sich nicht. Die Situation erschien ihr befremdlich, aber interessant.

Wenn also niemand hereingekommen war,musste sich der -allerdings recht rüpelhafte-Besucher noch draussen befinden.

Sie öffnete langsam die Tür .

Niemand war da draussen. Sogar das Flurlicht brannte und leuchtete alle Winkel aus.

Sie schloss die Tür .Als sie zuschnappte,hörte Fräulein Zahlmeier ein Geräusch.

Es war ein scheussliches Geräusch, so, als ob etwas Schleimiges mit Stacheln in einen Blecheimer fiele.

Es war nicht sehr laut.

Und es kam aus dem Wohnzimmer.

Fräulein Zahlmeier war von einer Kaltblütigkeit,die man ihr bestimmt nicht zugetraut hätte. Schon nach wenigen Sekunden der Starre

entschied sie, nicht in Ohnmacht zu fallen, und drehte sich langsam um.

Nichts besonderes war zu sehen. Ihre Wohnung war nicht sehr gross, und die Türen von Schlafzimmer und Bad waren nicht geöffnet worden.

Sie hätte das Quietschen nicht überhört.

Vorsichtig durchquerte sie die Diele,zögerte einen Moment an dem grossen, dunklen Schrank, der die Sicht in die linke Zimmerecke verstellte.

Aber auch da war nichts.

Stattdessen entdeckte sie ihre Brille auf der Kommode. Sie griff hastig danach und setze sie auf. Nichts.Niemand war in diesem Raum.

Sie musste sich getäuscht haben.

Es klopfte an das Mansardenfenster

Das Geräusch brachte sie beinahe um, bevor sie es erkannte : Anastasia , die herein wollte.

"Dumme,dumme Katze",murmelte Fräulein Zahlmeier erleichtert und öffnete das Fenster. Anastasia miaute und rieb sich an ihrem Arm.

Und wieder war da ein Geräusch hinter ihr.

 

Diesmal klang es wie eine Kaffeemühle oder wie ein Staubsauger.

Anastasia fauchte und verschwand mit einem Satz auf dem Dach.

Fräulein Zahlmeier drehte sich ärgerlich um. Sie sah das Ding nur sehr undeutlich, wie in einem Nebel.

Sie fiel in Ohnmacht.

 

Sie erwachte nur schwer.

Das Zimmer war dunkel. Durch das Fenster in der Mansarde fiel weiches Sternenlicht. Sie zwinkerte.

Sie versuchte,sich zu erinnern.

Das Fenster...war geschlossen.

Sie sass imLehnstuhl, und alles war wie....vorher.

Vor was?

Das Klopfen...das Geräusch! Etwas brannte in ihrem Hinterkopf und war gleichzeitig stumpf und weich.Sie besann sich nicht.

Minutenlang starrte sie durchs Fenster hinaus in den Nachthimmel, und die Sterne blinkten ihr zu.

Anastasia.

Die Katze hockte am oberen Rand des schrägen Fensters und sah über Kopf zu ihr hinab.Die grünen Augen reflektierten irgendein

Licht.

Sie grinste.

Es war ein unmögliches, viel zu breites, sich verselbständigendes Grinsen, verwirrend, überwältigend...

"Hallo. Erschrick nicht,Fräulein Zahlmeier."

Die Stimme klang wie eine Glocke,ein ferner klarer Akkord,direkt in ihrem Kopf.

"Ich brauche deine Hilfe, Fräulein Zahlmeier."

Die Katze sprach zu ihr,zweifellos.

Ich bin verrückt,dachte Fräulein Zahlmeier sachlich,,ohne Aufregung.

"Wieso ...brauchst du meine Hilfe?"dachte sie,ohne die Lippen zu bewegen.

"In deinem Zimmer ist ein ZRRGR. Du musst ihn vertreiben."

Ich führe ein Gespräch mit meiner Katze. Interessant.

"Was ist ein... ZRRGR?"

"Er will mich fangen.Uns. Er will uns fressen. Er ist BÖSE. Du hast ihn gesehen."

Ein Stich im Hinterkopf. "Ach - das."

Sie erinnerte sich. Ein Schatten. Ein...seltsamer Schatten. Und...

Schmerz! Nein! Nur keine Panik! Keine Panik. Also gut.

"Wieso sprichst du?"

"Ich spreche nicht.Ich denke in dich hinein."

Das ist alles nicht wahr.Ich muss mir den Kopf gestossen haben. Ich stehe jetzt auf. Sofort.

"Du musst uns helfen. Es ist wichtig."

Sinnlos. Ein Albtraum vielleicht? Ich kann nicht aufwachen.

"Was, sagst du,ist hier?"

"Ein Zrrgr. Manchmal findet uns einer. Er ist gefährlich!"

"Was IST ein Zrrgr?"

"Ein Dämon."

"Aha." Ein Albtraum. Ziemlich albern, aber auch faszinierend. Ich komme nicht los davon.

"Kein Albtraum. Es ist alles war. Ich erkläre es dir."

Die Glockenstimme verstummte für einen Moment,und ihr Klang hallte nach in Fräulein Zahlmeiers Kopf.

Dann war er wieder da,ein wenig leiser,ein wenig geheimnisvoll.

"Nur wenige Menschen wissen,was du jetzt erfährst. Wir verraten es nur ungern. Es ist sicherer so.

Also: Katzen ....sind nicht von HIER. Nicht von der Erde.

Nicht von DIESER Erde. Schwierig zu erklären. Aber wir sind keine TIERE -so wie andere Tiere dieser Welt.

Hunde zum Beispiel.

Aber wir verhalten uns so. Immer. Ich weiss, Menschen finden das schwierig. Ist es nicht. Nicht für uns.

Wir können - verschiedenes. Wie das hier. Aber wir sind hilflos gegen Zrrgr. Zrgr frisst Katze. Zrrgr sind - Tiere."

Die Glocke vibrierte vor Abscheu.

"Und wie...soll ich dir helfen?"

"Das ist einfach für dich. Viele Menschen haben das schon für Katze gemacht. Du rufst einen Klham."

"Einen Klham?"

"Anderer Dämon. Klham frisst Zrrgr. Einfach."

"Du meine Güte!"

"Es ist einfach. Nur - Mensch muss es tun.Katzen können nicht... du musst zuerst etwas zeichnen."

Ich sitze in meinem Lehnstuhl. Ich kann den Himmel sehen im Fenster über mir. Ich kann meine Hände bewegen.

Alles ist normal.

"Du musst einen Stern auf den Boden malen. Einen Stern mit fünf Zacken."

"Nein!"

"Warum nicht?"

"Das ist ZU albern."

Was ist bloss mit mir los? Bin ich berauscht von irgendetwas?

"Es ist NÖTIG! Der Klham....er könnte....wirklich, es ist wichtig!"

Was rege ich mich auf? Ich träume doch nur. Mal sehen, ob ich im Traum ein Pentagramm zeichnen kann.

Sie erhob sich langsam, ohne den Blick vom Mansardenfenster abzuwenden.Ihr Hand tastete zum Nähkästchen links neben dem

Tischchen und fingerte die Kreide heraus. Vorsichtig liess sie sich auf die Knie nieder,schob den kleinen, runden Teppich ein

wenig zur Seite und malte einen grossen, fünfzackigen Stern auf die Dielen,in einem Zug, wie sie es als Kind oft getan hatte.

Sie achtete darauf,dass alle Ecken geschlossen waren.

War da nicht ein Geräusch hinter mir? In der Nähe der Schlafzimmertür. Ich drehe mich einfach um und sehe nach.

Andererseits... hier gibt es NICHTS, das Geräusche machen kann.

Nur nicht verrückt machen lassen!

"Gut so", sang die Stimme in ihrem Kopf.

"Jetzt stell dich hinein. Du musst dich ganz hineinstellen."

Sie trat einen Schritt vor, in die Mitte des Fünfsterns.

"Und jetzt - sprich mir nach."

Die Stimme veränderte sich abrupt.

Ein kurzes, zischendes Wort.

Fräulein Zahlmeier wiederholte es mit Mühe.

Das nächste Wort, mit einem tiefen, rollenden Endlaut.

Fünf Worte, eines immer länger als das vorige, das letzte mit hohem, singenden Schluss.

Fremde Worte, nicht für menschliche Stimmen gedacht.

"Noch einmal,Fräulein Zahlmeier."

Sie wiederholte die fünf Worte, wieder und wieder, jedesmal lauter, jedesmal sicherer, und ihr fremder,gewaltiger Klang

dröhnte in jedem Winkel ihres Gehirns, erfüllte die ganze Welt.

Hinter ihr bewegte sich etwas.

Sie wiederholte die Formel, ruhig und sicher, wieder und wieder und sie spürte ihre Kraft - und die Angst.

Die Angst des ZRGR.

"Nicht bewegen, Fräulein Zahlmeier. Er kann dir nichts tun."

Und der Dämon stürzte sich auf sie.

Sie drehte sich nicht um, rührte keinen Finger. Er konnte ihr nichts tun.

Sie wusste es plötzlich - und das Wissen kam aus ihr selbst, aus der dunklen Tiefe, eine Flut von unartikulierter Information

und ein nie gekanntes Gefühl von MACHT.

Er konnte ihr nichts tun. Er war nur ein Katzendämon.

Aber sie spürte ihn hinter sich - seine hilflose Wut, seine Angst und sein zunehmendes Grauen.

Und dann sah ETWAS zu ihnen herüber.

Irgendwo, jenseits von Zeit und Raum wurde etwas AUFMERKSAM.

Sie erstarrte zu Eis.

Ein Schrei gellte hinter ihr auf, ein furchtbarer, unnatürlicher, dämonischer Angstschrei.

Und dann kam der Klham.

Die Wände wurden zu Glas und lösten sich auf, und mit ihnen die ganze Welt.

Die Sterne zwinkerten und verlöschten.

Einen Herzschlag lang umfing sie absolute Schwärze - und dann öffnete sich ein Auge, ein einziges, himmelfüllendes Auge ,

rotglühend und abgrundtief böse, und es starrte SIE an - nur sie.

Etwas wimmerte, klirrte, eine Saite von Glas.

"Klham sieht dich nicht. Beweg dich nicht. Fünfstern schützt fast immer."

Und dann war da ein Suchen, ein PACKEN, ein REISSEN - und es war vorbei.

 

 

Das Zimmer brannte aus. Fräulein Zahlmeier wurde gerettet, unverletzt bis auf die leicht angesengte Kleidung.

Ein junger Mann aus dem fünften Stock, ein Student, rettete sie, bevor das oberste Stockwerk unpassierbar wurde.

Es blieb ein wenig rätselhaft, wieso er so schnell zur Stelle war. Am gleichen Abend erzählte er , Frau Zahlmeiers Katze

habe an seinem Fenster gesessen und breit gegrinst, und plötzlich habe er gewusst was zu tun sei. Später konnte er

sich daran nicht mehr erinnern.

Fräulein Zahlmeier fragte als erstes nach Anastasia. Anfänglich schien es,als sei sie im Feuer umgekommen; aber als man das Fräulein

in den Rettungswagen lud, sprang sie plötzlich auf die Trage.

Seltsamerweise beutelte sie Fräulein Zahlmeier erst einmal ordentlich und schimpfte sie ein hinterhältiges Mistvieh, "von wegen:

schützt FAST immer", und die Katze wehrte sich nicht einmal.

Dann aber drückte sie sie an sich, und von diesem Tag an sah man Fräulein Zahlmeier nie mehr ohne ihre Katze.

Der Brandschaden war beträchtlich, aber es stellte sich heraus, dass Fräulein Zahlmeier entgegen der ursprünglichen Annahme der

Agentur ausgesprochen gut versichert war; nach Begleichung aller Schulden blieb ihr noch ein rundes Sümmchen, und sie kaufte sich

ein kleines Häuschen auf dem Land.

Hier lebte sie nun mit Anastasia ruhig, zufrieden und nicht schlecht. Denn es sprach sich schnell herum, dass das Fräulein Zahlmeier

auf die seltsamsten Fragen eine passende Antwort wusste, und viele Besucher kamen von weit her und liessen meist

eine kleine finanzielle Anerkennung zurück.

Zuerst munkelten die Nachbarn ein wenig, ob man denn von solchen Einkünften leben könne. Aber Fräulein Zahlmeier ging zum zustän-

digen Amt, Anastasia wie immer auf ihrer Schulter,und es stellte sich heraus,dass sie Anspruch auf eine nicht unbeträchtliche Rente

hatte.

So hatte alles seine Ordnung.

Und wenn eine Mutter mit ihrem Kind an Fräulein Zahlmeiers kleinem Haus mit dem üppig grünen Vorgarten vorbeispazierte, und

das Kind auf die grosse, gescheckte Katze deutete, die oben auf dem Torpfeiler hockte, und rief:

"Guck,die Katze lacht!"

dann schütteltete die Mutter den Kopf und sagte: "Unsinn, Katzen doch lachen nicht."

Und wenn ein jugendlicher Raufbold dem Pfarrer beichtete, er habe vorgehabt, der alten Hexe Zahlmeier einen Streich zu spielen, und

als er durch den Garten schlich,sass plötzlich die grosse Katze da und habe ihn freundlich angelächelt, so dass er sich schäbig und gemein

vorgekommen sei, erteilte der Pfarrer ihm die Absolution nur unter dem Vorbehalt, in Zukunft auf derart abenteuerliche Ausschmückungen

seiner durchaus positiven Reue zu verzichten.

Aber die junge Frau kaufte am Wochenende in der Stadt ein Taschenbuch eines überdrehten amerikanischen Serienbuchautors mit einer

merkwürdigen Umschlagillustration und dem Titel "Katzen im Mittelalter"; und der Pfarrer verbrachte einen nachdenkliche Abend am

Kaminfeuer, wobei sein Blick immer wieder lange auf seinem Kater verweilte, der friedlich zusammengerollt im andern Sessel schnurrte...

Sie glauben mir natürlich kein Wort, ich weiss.

Sie tarnen sich gut . Aber schalten sie doch mal, wenn ihre Katze im Zimmer ist, den Staubsauger ein.

Oder eine Kaffeemaschine.

 

wk 1997

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